Sammlung 1909
Drei Träume
I
Mich däucht, ich träumte von Blätterfall,
Von weiten Wäldern und dunklen Seen,
Von trauriger Worte Widerhall —
Doch könnt’ ich ihren Sinn nicht verstehn.
Mich däucht, ich träumte von Sternenfall,
Von blasser Augen weinendem Flehn,
Von eines Lächelns Widerhall —
Doch könnt’ ich seinen Sinn nicht verstehn.
Wie Blätterfall, wie Sternenfall,
So sah ich mich ewig kommen und gehn,
Eines Traumes unsterblicher Widerhall —
Doch könnt’ ich seinen Sinn nicht verstehn.
II
In meiner Seele dunklem Spiegel
Sind Bilder niegeseh’ner Meere,
Verlass’ner, tragisch phantastischer Länder,
Zerfließend ins Blaue, Ungefähre.
Meine Seele gebar blut-purpurne Himmel
Durchglüht von gigantischen, prasselnden Sonnen,
Und seltsam belebte, schimmernde Gärten,
Die dampften von schwülen, tödlichen Wonnen.
Und meiner Seele dunkler Bronnen
Schuf Bilder ungeheurer Nächte,
Bewegt von namenlosen Gesängen
Und Atemwehen ewiger Mächte.
Meine Seele schauert erinnerungsdunkel,
Als ob sie in allem sich wiederfände —
In unergründlichen Meeren und Nächten,
Und tiefen Gesängen, ohn’ Anfang und Ende.
III
Ich sah viel Städte als Flammenraub
Und Greuel auf Greuel häufen die Zeiten,
Und sah viel Völker verwesen zu Staub,
Und alles in Vergessenheit gleiten.
Ich sah die Götter stürzen zur Nacht,
Die heiligsten Harfen ohnmächtig zerschellen,
Und aus Verwesung neu entfacht,
Ein neues Leben zum Tage schwellen.
Zum Tage schwellen und wieder vergehn,
Die ewig gleiche Tragödia,
Die also wir spielen sonder Verstehn,
Und deren wahnsinnsnächtige Qual
Der Schönheit sanfte Gloria
Umkränzt als lächelndes Dornenall.
Von den stillen Tagen
So geisterhaft sind diese späten Tage
Gleichwie der Blick von Kranken, hergesendet
Ins Licht. Doch ihrer Augen stumme Klage
Beschattet Nacht, der sie schon zugewendet.
Sie lächeln wohl und denken ihrer Feste,
Wie man nach Liedern bebt, die halb vergessen,
Und Worte sucht für eine traurige Geste,
Die schon verblaßt in Schweigen ungemessen.
So spielt um kranke Blumen noch die Sonne
Und läßt von einer todeskühlen Wonne
Sie schauern in den dünnen, klaren Lüften.
Die roten Wälder flüstern und verdämmern,
Und todesnächtiger hallt der Spechte Hämmern
Gleichwie ein Widerhall aus dumpfen Grüften.
Dämmerung
Zerwühlt, verzerrt bist du von jedem Schmerz
Und bebst vom Mißton aller Melodien,
Zersprungne Harfe du — ein armes Herz,
Aus dem der Schwermut kranke Blumen blühn.
Wer hat den Feind, den Mörder dir bestellt,
Der deiner Seele letzten Funken stahl,
Wie er entgöttert diese karge Welt
Zur Hure, häßlich, krank, verwesungsfahl!
Von Schatten schwingt sich noch ein wilder Tanz,
Zu kraus zerrißnem, seelenlosem Klang,
Ein Reigen um der Schönheit Dornenkranz,
Der welk den Sieger, den verlornen, krönt
— Ein schlechter Preis, um den Verzweiflung rang,
Und der die lichte Gottheit nicht versöhnt.
Herbst (Verfall)
VERFALL
Sammlung 1909
Am Abend, wenn die Glocken Frieden läuten,
Folg’ ich der Vögel wundervollen Flügen,
Die lang geschart, gleich frommen Pilgerzügen
Entschwinden in den herbstlich klaren Weiten.
Hinwandelnd durch den nachtverschloßnen Garten,
Träum’ ich nach ihren helleren Geschicken,
Und fühl’ der Stunden Weiser kaum mehr rücken —
So folg’ ich über Wolken ihren Fahrten.
Da macht ein Hauch mich von Verfall erzittern.
Ein Vogel klagt in den entlaubten Zweigen
Es schwankt der rote Wein an rostigen Gittern,
Indess’ wie blasser Kinder Todesreigen,
Um dunkle Brunnenränder, die verwittern
Im Wind sich fröstelnd fahle Astern neigen.
Das Grauen
Ich sah mich durch verlass’ne Zimmer gehn.
— Die Sterne tanzten irr auf blauem Grunde,
Und auf den Feldern heulten laut die Hunde,
Und in den Wipfeln wühlte wild der Föhn.
Doch plötzlich: Stille! Dumpfe Fieberglut
Läßt giftige Blumen blühn aus meinem Munde,
Aus dem Geäst fällt wie aus einer Wunde
Blaß schimmernd Tau, und fällt, und fällt wie Blut.
Aus eines Spiegels trügerischer Leere
Hebt langsam sich, und wie ins Ungefähre
Aus Graun und Finsternis ein Antlitz: Kain!
Sehr leise rauscht die samtene Portiere,
Durchs Fenster schaut der Mond gleichwie ins Leere,
Da bin mit meinem Mörder ich allein.
Andacht
Das Unverlorne meiner jungen Jahre
Ist stille Andacht an ein Glockenläuten,
An aller Kirchen dämmernde Altare
Und ihrer blauen Kuppeln Himmelweiten.
An einer Orgel abendliche Weise,
An weiter Plätze dunkelndes Verhallen,
Und an ein Brunnenplätschern, sanft und leise
Und süß, wie unverstandnes Kinderlallen.
Ich seh’ mich träumend still die Hände falten
Und längst vergessene Gebete flüstern,
Und frühe Schwermut meinen Blick umdüstern.
Da schimmert aus verworrenen Gestalten
Ein Frauenbild, umflort von finstrer Trauer,
Und gießt in mich den Kelch verruchter Schauer.
Sabbath
Ein Hauch von fiebernd giftigen Gewächsen
Macht träumen mich in mondnen Dämmerungen,
Und leise fühl’ ich mich umrankt, umschlungen,
Und seh’ gleich einem Sabbath toller Hexen
Blutfarbne Blüten in der Spiegel Hellen
Aus meinem Herzen keltern Flammenbrünste,
Und ihre Lippen kundig aller Künste
An meiner trunknen Kehle wütend schwellen.
Pestfarbne Blumen tropischer Gestade,
Die reichen meinen Lippen ihre Schalen,
Die trüben Geiferbronnen ekler Qualen.
Und eine schlingt — o rasende Mänade —
Mein Fleisch, ermattet von den schwülen Dünsten,
Und schmerzverzückt von fürchterlichen Brünsten.
Gesang zur Nacht
I
Vom Schatten eines Hauchs geboren
Wir wandeln in Verlassenheit
Und sind im Ewigen verloren,
Gleich Opfern unwissend, wozu sie geweiht.
Gleich Bettlern ist uns nichts zu eigen,
Uns Toren am verschloßnen Tor.
Wie Blinde lauschen wir ins Schweigen,
In dem sich unser Flüstern verlor.
Wir sind die Wandrer ohne Ziele,
Die Wolken, die der Wind verweht,
Die Blumen, zitternd in Todeskühle,
Die warten, bis man sie niedermäht.
II
Daß sich die letzte Qual an mir erfülle,
Ich wehr’ euch nicht, ihr feindlich dunklen Mächte.
Ihr seid die Straße hin zur großen Stille,
Darauf wir schreiten in die kühlsten Nächte.
Es macht mich euer Atem lauter brennen,
Geduld! Der Stern verglüht, die Träume gleiten
In jene Reiche, die sich uns nicht nennen,
Und die wir traumlos dürfen nur beschreiten.
III
Du dunkle Nacht, du dunkles Herz,
Wer spiegelt eure heiligsten Gründe,
Und eurer Bosheit letzte Schlünde?
Die Maske starrt vor unserm Schmerz —
Vor unserm Schmerz, vor unsrer Lust
Der leeren Maske steinern Lachen,
Daran die irdnen Dinge brachen,
Und das uns selber nicht bewußt.
Und steht vor uns ein fremder Feind,
Der höhnt, worum wir sterbend ringen,
Daß trüber unsre Lieder klingen
Und dunkel bleibt, was in uns weint.
IV
Du bist der Wein, der trunken macht,
Nun blut ich hin in süßen Tänzen
Und muß mein Leid mit Blumen kränzen!
So will’s dein tiefster Sinn, o Nacht!
Ich bin die Harfe in deinem Schoß,
Nun ringt um meine letzten Schmerzen
Dein dunkles Lied in meinem Herzen
Und macht mich ewig, wesenlos.
V
Tiefe Ruh — o tiefe Ruh!
Keine fromme Glocke läutet,
Süße Schmerzensmutter du —
Deinen Frieden todgeweitet.
Schließ mit deinen kühlen, guten
Händen alle Wunden zu —
Daß nach innen sie verbluten —
Süße Schmerzensmutter — du!
VI
O laß mein Schweigen sein dein Lied!
Was soll des Armen Flüstern dir,
Der aus des Lebens Gärten schied?
Laß namenlos dich sein in mir —
Die traumlos in mir aufgebaut,
Wie eine Glocke ohne Ton,
Wie meiner Schmerzen süße Braut
Und meiner Schlafe trunkner Mohn.
VII
Blumen hörte ich sterben im Grund
Und der Bronnen trunkne Klage
Und ein Lied aus Glockenmund,
Nacht, und eine geflüsterte Frage;
Und ein Herz — o todeswund,
Jenseits seiner armen Tage.
VIII
Das Dunkel löschte mich schweigend aus,
Ich ward ein toter Schatten im Tag —
Da trat ich aus der Freude Haus
In die Nacht hinaus.
Nun wohnt ein Schweigen im Herzen mir,
Das fühlt nicht nach den öden Tag —
Und lächelt wie Dornen auf zu dir,
Nacht — für und für!
IX
O Nacht, du stummes Tor vor meinem Leid,
Verbluten sieh dies dunkle Wundenrnal
Und ganz geneigt den Taumelkelch der Qual!
O Nacht, ich bin bereit!
O Nacht, du Garten der Vergessenheit
Um meiner Armut weltverschloss’nen Glanz,
Das Weinlaub welkt, es welkt der Dornenkranz.
O komm, du hohe Zeit!
X
Es hat mein Dämon einst gelacht,
Da war ich ein Licht in schimmernden Gärten,
Und hatte Spiel und Tanz zu Gefährten
Und der Liebe Wein, der trunken macht.
Es hat mein Dämon einst geweint.
Da war ich ein Licht in schmerzlichen Gärten
Und hatte die Demut zum Gefährten,
Deren Glanz der Armut Haus bescheint.
Doch nun mein Dämon nicht weint noch lacht,
Bin ich ein Schatten verlorener Gärten
Und habe zum todesdunklen Gefährten
Das Schweigen der leeren Mitternacht.
XI
Mein armes Lächeln, das um dich rang,
Mein schluchzendes Lied im Dunkel verklang.
Nun will mein Weg zu Ende gehn.
Laß treten mich in deinen Dom
Wie einst, ein Tor, einfältig, fromm,
Und stumm anbetend vor dir stehn.
XII
Du bist in tiefer Mitternacht
Ein totes Gestade an schweigendem Meer,
Ein totes Gestade: Nimmermehr!
Du bist in tiefer Mitternacht.
Du bist in tiefer Mitternacht
Der Himmel, in dem du als Stern geglüht,
Ein Himmel, aus dem kein Gott mehr blüht.
Du bist in tiefer Mitternacht.
Du bist in tiefer Mitternacht
Ein Unempfangner in süßem Schoß,
Und nie gewesen, wesenlos!
Du bist in tiefer Mitternacht.
Das tiefe Lied
Aus tiefer Nacht ward ich befreit.
Meine Seele staunt in Unsterblichkeit,
Meine Seele lauscht über Raum und Zeit
Der Melodie der Ewigkeit!
Nicht Tag und Lust, nicht Nacht und Leid
Ist Melodie der Ewigkeit,
Und seit ich erlauscht die Ewigkeit,
Fühl nimmermehr ich Lust und Leid!
Ballade
Ein Narre schrieb drei Zeichen in Sand,
Eine bleiche Magd da vor ihm stand.
Laut sang, o sang das Meer.
Sie hielt einen Becher in der Hand,
Der schimmerte bis auf zum Rand,
Wie Blut so rot und schwer.
Kein Wort ward gesprochen — die Sonne schwand,
Da nahm der Narre aus ihrer Hand
Den Becher und trank ihn leer.
Da löschte sein Licht in ihrer Hand,
Der Wind verwehte drei Zeichen im Sand —
Laut sang, o sang das Meer.
Ballade
Es klagt ein Herz: Du findest sie nicht,
Ihre Heimat ist wohl weit von hier,
Und seltsam ist ihr Angesicht!
Es weint die Nacht an einer Tür!
Im Marmorsaal brennt Licht an Licht,
O dumpf, o dumpf! Es stirbt wer hier!
Es flüstert wo: O kommst du nicht ?
Es weint die Nacht an einer Tür!
Ein Schluchzen noch: O sah’ er das Licht!
Da ward es dunkel dort und hier —
Ein Schluchzen: Bruder, o betest du nicht?
Es weint die Nacht an einer Tür.
Ballade
Ein schwüler Garten stand die Nacht.
Wir verschwiegen uns, was uns grauend erfaßt.
Davon sind unsre Herzen erwacht
Und erlagen unter des Schweigens Last.
Es blühte kein Stern in jener Nacht
Und niemand war, der für uns bat.
Ein Dämon nur hat im Dunkel gelacht.
Seid alle verflucht! Da ward die Tat.
Melusine
An meinen Fenstern weint die Nacht —
Die Nacht ist stumm, es weint wohl der Wind,
Der Wind, wie ein verlornes Kind —
Was ist’s, das ihn so weinen macht?
O arme Melusine!
Wie Feuer ihr Haar im Sturme weht,
Wie Feuer an Wolken vorüber und klagt —
Da spricht für dich, du arme Magd,
Mein Herz ein stilles Nachtgebet!
O arme Melusine!
Verfall
Es weht ein Wind! Hinlöschend singen
Die grünen Lichter — groß und satt
Erfüllt der Mond den hohen Saal,
Den keine Feste mehr durchklingen.
Die Ahnenbilder lächeln leise
Und fern — ihr letzter Schatten fiel,
Der Raum ist von Verwesung schwül,
Den Raben stumm umziehn im Kreise.
Verlorner Sinn vergangner Zeiten
Blickt aus den steinernen Masken her,
Die schmerzverzerrt und daseinsleer
Hintrauern in Verlassenheiten.
Versunkner Gärten kranke Düfte
Umkosen leise den Verfall —
Wie schluchzender Worte Widerhall
Hinzitternd über off’ne Grüfte.
Gedicht
Ein frommes Lied kam zu mir her:
Du einfach Herz, du heilig Blut,
O nimm von mir so böse Glut!
Da ward’s erhört und klagt nicht mehr!
Mein Herz ist jeder Sünde schwer
Und zehrt sich auf in böser Glut,
Und ruft nicht an das heilige Blut,
Und ist so stumm und tränenleer.
Nachtlied
Über nächtlich dunkle Fluten
Sing’ ich meine traurigen Lieder,
Lieder, die wie Wunden bluten.
Doch kein Herz trägt sie mir wieder
Durch das Dunkel her.
Nur die nächtlich dunklen Fluten
Rauschen, schluchzen meine Lieder,
Lieder, die von Wunden bluten,
Tragen an mein Herz sie wieder
Durch das Dunkel her.
An einem Fenster
Über den Dächern das Himmelsblau,
Und Wolken, die vorüberziehn,
Vorm Fenster ein Baum im Frühlingstau,
Und ein Vogel, der trunken himmelan schnellt,
Von Blüten ein verlorener Duft —
Es fühlt ein Herz: Das ist die Welt!
Die Stille wächst und der Mittag glüht!
Mein Gott, wie ist die Welt so reich!
Ich träume und träum’ und das Leben flieht,
Das Leben da draußen — irgendwo
Mir fern durch ein Meer von Einsamkeit!
Es fühlt’s ein Herz und wird nicht froh!
Farbiger Herbst
MUSIK IM MIRABELL
1. Fassung, Sammlung 1909
Der Brunnen singt, die Wolken stehn
Im klaren Blau, die weißen, zarten;
Bedächtig, stille Menschen gehn
Da drunten im abendblauen Garten.
Der Ahnen Marmor ist ergraut
Ein Vogelflug streift in die Weiten
Ein Faun mit toten Augen schaut
Nach Schatten, die ins Dunkel gleiten.
Das Laub fällt rot vom alten Baum
Und kreist herein durchs offne Fenster,
In dunklen Feuern glüht der Raum,
Darin die Schatten, wie Gespenster.
Opaliger Dunst webt über das Gras,
Eine Wolke von welken, gebleichten Düften,
Im Brunnen leuchtet wie grünes Glas
Die Mondessichel in frierenden Lüften.
Die drei Teiche in Hellbrunn
1. Fassung, Sammlung 1909
DER ERSTE
Um die Blumen taumelt das Fliegengeschmeiß,
Um die bleichen Blumen auf dumpfer Flut,
Geh fort! Geh fort! Es brennt die Luft!
In der Tiefe glüht der Verwesung Glut!
Die Weide weint, das Schweigen starrt,
Auf den Wassern braut ein schwüler Dunst.
Geh fort! Geh fort! Es ist der Ort
Für schwarzer Kröten ekle Brunst.
DER ZWEITE
Bilder von Wolken, Blumen und Menschen —
Singe, singe, freudige Welt!
Lächelnde Unschuld spiegelt dich wider —
Himmlisch wird alles, was ihr gefällt!
Dunkles wandelt sie freundlich in Helle,
Fernes wird nah! O Freudiger du!
Sonne, Wolken, Blumen und Menschen
Atmen in dir Gottesruh.
DER DRITTE
Die Wasser schimmern grünlich-blau
Und ruhig atmen die Zypressen,
Es tönt der Abend glockentief —
Da wächst die Tiefe unermessen.
Der Mond steigt auf, es blaut die Nacht,
Erblüht im Widerschein der Fluten —
Ein rätselvolles Sphinxgesicht,
Daran mein Herz sich will verbluten.
Auf den Tod einer alten Frau
Oft lausche ich voll Grauen an der Tür
Und tret’ ich ein, deucht mich, daß jemand floh,
Und ihre Augen sehn vorbei an mir
Verträumt, als sähen sie mich anderswo.
So sitzt sie ganz in sich gebeugt und lauscht
Und scheint den Dingen fern, die um sie sind,
Doch bebt sie, wenn Geräusch ans Fenster rauscht,
Und weint dann still, gleichwie ein banges Kind.
Und kost mit müder Hand ihr weißes Haar
Und fragt mit fahlem Blick: Muß ich schon gehn?
Und fiebert irr: Das Lichtlein am Altar
Erlosch! Wo gehst du hin? Was ist geschehn?
Zigeuner
Die Sehnsucht glüht in ihrem nächtigen Blick
Nach jener Heimat, die sie niemals finden.
So treibt sie ein unseliges Geschick,
Das nur Melancholie mag ganz ergründen.
Die Wolken wandeln ihren Wegen vor,
Ein Vogelzug mag manchmal sie geleiten,
Bis er am Abend ihre Spur verlor,
Und manchmal trägt der Wind ein Aveläuten
In ihres Lagers Sterneneinsamkeit,
Daß sehnsuchtsvoller ihre Lieder schwellen
Und schluchzen von ererbtem Fluch und Leid,
Das keiner Hoffnung Sterne sanft erhellen.
Naturtheater
Nun tret’ ich durch die schlanke Pforte!
Verworrner Schritt in den Alleen
Verweht und leiser Hauch der Worte
Von Menschen, die vorübergehn.
Ich steh’ vor einer grünen Bühne!
Fang an, fang wieder an, du Spiel
Verlorner Tage, ohn’ Schuld und Sühne,
Gespensterhaft nur, fremd und kühl!
Zur Melodie der frühen Tage
Seh’ ich da oben mich wiedergehn,
Ein Kind, des leise, vergessene Klage
Ich weinen seh’, fremd meinem Verstehn.
Du staunend Antlitz zum Abend gewendet,
War ich dies einst, das nun weinen mich macht,
Wie deine Gebärden noch ungeendet,
Die stumm und schaudernd deuten zur Nacht.
Ermatten
Verwesung traumgeschaffner Paradiese
Umweht dies trauervolle, müde Herz,
Das Ekel nur sich trank aus aller Süße,
Und das verblutet in gemeinem Schmerz.
Nun schlägt es nach dem Takt verklungner Tänze
Zu der Verzweiflung trüben Melodien,
Indes der alten Hoffnung Sternenkränze
An längst entgöttertem Altar verblühn.
Vom Rausch der Wohlgerüche und der Weine
Blieb dir ein überwach Gefühl der Scham —
Das Gestern in verzerrtem Widerscheine —
Und dich zermalmt des Alltags grauer Gram.
Ausklang
Vom Tage ging der letzte, blasse Schein,
Die frühen Leidenschaften sind verrauscht,
Verschüttet meiner Freuden heiliger Wein,
Nun weint mein Herz zur Nacht und lauscht
Nach seiner jungen Feste Widerhall,
Der in dem Dunkel sich verliert so sacht,
So schattengleich, wie welker Blätter Fall
Auf ein verlaßnes Grab in Herbstesnacht.
Einklang
Sehr helle Töne in den dünnen Lüften,
Sie singen dieses Tages fernes Trauern,
Der ganz erfüllt von ungeahnten Düften
Uns träumen macht nach niegefühlten Schauern.
Wie Andacht nach verlorenen Gefährten
Und leiser Nachhall nachtversunkner Wonnen,
Das Laub fällt in den längst verlaßnen Gärten,
Die sich in Paradiesesschweigen sonnen.
Im hellen Spiegel der geklärten Fluten
Sehn wir die tote Zeit sich fremd beleben
Und unsre Leidenschaften im Verbluten,
Zu ferner’n Himmeln unsre Seelen heben.
Wir gehen durch die Tode neugestaltet
Zu tiefern Foltern ein und tiefern Wonnen,
Darin die unbekannte Gottheit waltet —
Und uns vollenden ewig neue Sonnen.
Crucifixus
Er ist der Gott, vor dem die Armen knien,
Er ihrer Erdenqualen Schicksalsspiegel,
Ein bleicher Gott, geschändet, angespien,
Verendet auf der Mörderschande Hügel.
Sie knien vor seines Fleisches Folternot,
Daß ihre Demut sich mit ihm vermähle,
Und seines letzten Blickes Nacht und Tod
Ihr Herz im Eis der Todessehnsucht stähle —
Daß öffne — irdenen Gebrests Symbol —
Die Pforte zu der Armut Paradiesen
Sein todesnächtiges Dornenkapitol,
Das bleiche Engel und Verlorene grüßen.
Confiteor
Die bunten Bilder, die das Leben malt
Seh’ ich umdüstert nur von Dämmerungen,
Wie kraus verzerrte Schatten, trüb und kalt,
Die kaum geboren schon der Tod bezwungen.
Und da von jedem Ding die Maske fiel,
Seh’ ich nur Angst, Verzweiflung, Schmach und Seuchen,
Der Menschheit heldenloses Trauerspiel,
Ein schlechtes Stück, gespielt auf Gräbern, Leichen.
Mich ekelt dieses wüste Traumgesicht.
Doch will ein Machtgebot, daß ich verweile,
Ein Komödiant, der seine Rolle spricht,
Gezwungen, voll Verzweiflung — Langeweile!
Schweigen
Über den Wäldern schimmert bleich
Der Mond, der uns träumen macht,
Die Weide am dunklen Teich
Weint lautlos in die Nacht.
Ein Herz erlischt — und sacht
Die Nebel fluten und steigen —
Schweigen, Schweigen!
Vor Sonnenaufgang
Im Dunkel rufen viele Vogelstimmen,
Die Bäume rauschen und die Quellen laut,
In Wolken tönt ein rosenfarbnes Glimmen
Wie frühe Liebesnot. Die Nacht verblaut —
Die Dämmrung glättet sanft, mit scheuen Händen
Der Liebe Lager, fiebernd aufgewühlt,
Und läßt den Rausch erschlaffter Küsse enden
In Träumen, lächelnd und halb wach gefühlt.
Blutschuld
Es dräut die Nacht am Lager unsrer Küsse.
Es flüstert wo: Wer nimmt von euch die Schuld?
Noch bebend von verruchter Wollust Süße
Wir beten: Verzeih uns, Maria, in deiner Huld!
Aus Blumenschalen steigen gierige Düfte,
Umschmeicheln unsere Stirnen bleich von Schuld.
Ermattend unterm Hauch der schwülen Lüfte
Wir träumen: Verzeih uns, Maria, in deiner Huld!
Doch lauter rauscht der Brunnen der Sirenen
Und dunkler ragt die Sphinx vor unsrer Schuld,
Daß unsre Herzen sündiger wieder tönen,
Wir schluchzen: Verzeih uns, Maria, in deiner Huld!
Begegnung
Am Weg der Fremde — wir sehn uns an
Und unsre müden Augen fragen:
Was hast du mit deinem Leben getan?
Sei still! sei still! Laß alle Klagen!
Es wird schon kühler um uns her,
Die Wolken zerfließen in den Weiten.
Mich deucht, wir fragen nicht lange mehr,
Und niemand wird uns zur Nacht geleiten.
Vollendung
Mein Bruder, laß uns stiller gehn!
Die Straßen dunkeln sachte ein.
Von ferne schimmern wohl Fahnen und wenn,
Doch Bruder, laß uns einsam sein —
Und uns zum Himmel schauend ruhn,
Im Herzen sanft und ganz bereit,
Und selbstvergessen einstigem Tun.
Mein Bruder, sieh, die Welt ist weit!
Da draußen spielt mit Wolken der Wind,
Die kommen wie wir, von. irgendwo.
Laß sein uns, wie die Blumen sind,
So arm, mein Bruder, so schön und froh!
Metamorphose
Ein ewiges Licht glüht düsterrot,
Ein Herz so rot, in Sündennot!
Gegrüßt seist du, o Maria!
Dein bleiches Bildnis ist erblüht
Und dein verhüllter Leib erglüht,
O Fraue du, Maria!
In süßen Qualen brennt dein Schoß,
Da lächelt dein Auge schmerzlich und groß,
O Mutter du, Maria!
Abendgang
Ich gehe in den Abend hinein,
Der Wind läuft mit und singt:
Verzauberter du von jedem Schein,
O fühle, was mit dir ringt!
Einer Toten Stimme, die ich geliebt,
Spricht: Arm ist der Toren Herz!
Vergiß, vergiß, was die Seele dir trübt!
Das Werdende sei dein Schmerz!
Der Heilige
Wenn in der Hölle selbstgeschaffener Leiden
Grausam-unzüchtige Bilder ihn bedrängen
— Kein Herz ward je von lasser Geilheit so
Berückt wie seins, und so von Gott gequält
Kein Herz — hebt er die abgezehrten Hände,
Die unerlösten, betend auf zum Himmel.
Doch formt nur qualvoll-ungestillte Lust
Sein brünstig-fieberndes Gebet, des Glut
Hinströmt durch mystische Unendlichkeiten.
Und nicht so trunken tönt das Evoe
Des Dionys, als wenn in tödlicher,
Wutgeifernder Ekstase Erfüllung sich
Erzwingt sein Qualschrei: Exaudi me, o Maria!
Einer Vorübergehenden
Ich hab’ einst im Vorübergehn
Ein schmerzenreiches Antlitz gesehn,
Das schien mir tief und heimlich verwandt,
So gottgesandt —
Und ging vorüber und entschwand.
Ich hab’ einst im Vorübergehn
Ein schmerzenreiches Antlitz gesehn,
Das hat mich gebannt,
Als hätte ich eine wiedererkannt,
Die träumend ich einst Geliebte genannt
In einem Dasein, das längst entschwand.
Die tote Kirche
Auf dunklen Bänken sitzen sie gedrängt
Und heben die erloschnen Blicke auf
Zum Kreuz. Die Lichter schimmern wie verhängt,
Und trüb und wie verhängt das Wundenhaupt.
Der Weihrauch steigt aus güldenem Gefäß
Zur Höhe auf, hinsterbender Gesang
Verhaucht, und ungewiß und süß verdämmert
Wie heimgesucht der Raum. Der Priester schreitet
Vor den Altar; doch übt mit müdem Geist er
Die frommen Bräuche — ein jämmerlicher Spieler,
Vor schlechten Betern mit erstarrten Herzen,
In seelenlosem Spiel mit Brot und Wein.
Die Glocke klingt! Die Lichter flackern trüber —
Und bleicher, wie verhängt das Wundenhaupt!
Die Orgel rauscht! In toten Herzen schauert
Erinnerung auf! Ein blutend Schmerzensantlitz
Hüllt sich in Dunkelheit und die Verzweiflung
Starrt ihm aus vielen Augen nach ins Leere.
Und eine, die wie aller Stimmen klang,
Schluchzt auf — indes das Grauen wuchs im Raum,
Das Todesgrauen wuchs: Erbarme dich unser —
Herr!